Quixada 2017 – Falken im Sertão

Von Dave Künzi

Schon in den Wochen vor unserer Brasilienreise gab es viel zu tun: Ein paar Brocken Portugiesisch lernen, aufstocken der Reiseapotheke mit Malariamedikamenten, Impfungen gegen diverse Tropenkrankheiten sowie Einkauf von SPOT-Tracker und Funkgeräten mit grosser Reichweite inkl. Ersatzakkus. Runterladen diverser Offlinekarten auf Handy und GPS-Gerät — um eine Backupmöglichkeit zu haben, falls ein Gerät versagt — und noch vieles mehr…

Am Donnerstag 19. Oktober ging es am Flughafen Zürich endlich los. Mit TAP Airlines flogen wir mit Zwischenstopp in Lissabon nach Fortaleza, Brasilien.
Als sich die Flugzeugtür um ca. 20:30 Uhr Ortszeit öffnete, knallte uns eine Welle feuchter und schwüler Luft entgegen, welche uns aufzeigte, dass von jetzt an wohl Shorts, T-Shirt und Flip Flops angesagt waren.
Am Gepäckband trafen wir auf Phillipe Leuenberger, ein alter Hase unter den Sertão-Überfliegern, welcher schon zum achten Mal mit dem Gleitschirm nach Quixada reiste. Erstaunlicherweise war unser Gepäck komplett angekommen. Das heisst für 3 Personen:

  • 6 grosse Packsäcke
  • 3 Sporttaschen
  • 3 x kleines Kabinengepäck

Unter Phippus Anleitung orderten wir ein Taxi. Der Fahrer zuckte ungläubig mit den Schultern, als wir sein Auto mit Sack und Pack bestückten. Nach 2-3 Minuten ging auch die letzte Türe zu und wir fuhren in die Stadt in unser Hotel für die erste Nacht.

Am nächsten Vormittag sollte unsere Reise weitergehen.
So erschien pünktlich um 11 Uhr ein neues Taxi vor dem Hotel welches — zu unserem Übel — noch kleiner war, als das vom Vortag. 3 andere Taxifahrer Versuchten erfolglos, das Gepäck in das Stufenheck zu stopfen. Also mussten wir selber ran. Unter den staunenden Blicken von mittlerweile 6 Taxifahrern, passten oder pressten wir jedes Gepäckstück in einen Hohlraum. Als wir auch diese logistische Aufgabe im Tetris-Style gelöst hatten, begaben wir uns auf die Reise. Da der Fahrer rechts weder in den Seitenspiegel noch zum Fenster raus sah, musste Fredel den Kontrollblick übernehmen und Phippu vom Beifahrersitz den Spurwechsel per Handzeichen ankündigen. Und das alles ohne grosse Sprachkenntnisse… Nur ich konnte der Choreografie nichts beisteuern — ausser zu hoffen, dass unser schweiz-brasilianisches Teamwork funktionieren würde.

Nach 3 endlosen Stunden war dann auch diese Fahrt zu Ende und alle froh, endlich im Hotel Pedra dos Ventos zu sein.
Dort wurden wir schon vom Präsi der Flatlanders "Gregi" Sonderegger empfangen, welcher seinerseits bereits zum 18. Mal zum fliegen vor Ort war.
Gregi hat hier eine Art kleines Hilfswerk am laufen, und bereits einen Kindergarten gebaut sowie eine Sportschule gegründet. Tolle Sache für die Kids von Juatama, dem Dorf gleich unterhalb unseres Hotels.

Kurz die Hotelzimmer bezogen und im Pool abgekühlt, ging's bald schon mit Programm weiter. Nämlich mit Welcome-Bier, Abendessen und einer gründlichen Geländeeinweisung vom Fly with Andy-Team Michel Gebert und Ramona Fischer.

Um 20:00 Uhr ging es schon ins Bett… Gute Nacht Sertão…

Unser Tagesablauf — zum daran gewöhnen — sah von nun an so aus:

  • Aufstehen: 04:30 Uhr
  • Frühstück: 05:00 Uhr (Sonnenaufgang)
  • Abfahrt zum Startplatz: 05:30 - 06:00 Uhr
  • Material Vorbereiten: bis 06:30 Uhr
  • Anschliessend Starten und möglichst weit fliegen…

Genau nach diesem Plan startete auch unser erster Flugtag.
So fuhren wir deutlich angespannt zum Startrampe von Quixada. Im Hinterkopf immer die berüchtigten YouTube-Videos der Horrorstarts, die diesen Startplatz auf ganz eigene Art berühmt machen.

Hochkonzentriert machten wir unser Material bereit, gingen seitwärts die Startrampe runter, während uns respekteinflössende Böen entgegen peitschten.
Nach kurzem warten war die Reihe an mir… den Schirm auf den Teppich gelegt, wurde er von 4 Starthelfern ausgelegt und festgehalten, damit man nicht zu früh von einer Böe erfasst und über die Kannte ins Lee katapultiert wird. Mein Blick fixierte Dileone — den Startleiter — welcher die Vegetation unterhalb der Rampe und die kleinen Seen beobachtete.
Mir war es ein Rätsel, wie er an dem trockenen Gestrüpp den Wind vorausahnen konnte… aber er machte das fehlerfrei.

Are you ready?

...rief er mir zu. Ich nickte ein wenig unsicher... — "GO!!"
Die Jungs lassen den Schirm frei, kurzes anspannen der A-Leinen gefolgt von einem bergauf Sprint Richtung Schirm, anbremsen, ausdrehen — jetzt geht’s hoch wie im Lift. Wer nicht sofort in den Beschleuniger steigt und vom Hang weg kommt, riskiert ins Lee geblasen zu werden.
Das Gas gut erwischt fliegt man mit Puls 200 vom Hang weg an die Felswand wo man von nun an Versucht, soarend oder Thermisch die ca. 1200m zu erreichen damit man mit dem Wind losfliegen kann.
Das klappte eigenartigerweise recht gut und gegen 08:00 Uhr zog jede Wolke zuverlässig bis an ihre Basis. Mit einer solchen Wolke lässt man sich über den Startfels ins Lee tragen und versucht jeden Meter mit zu nehmen.
Mit viel Geduld dreht man anschliessend Aufwindchen, die bei uns nicht als Thermik durchgehen würden. Mit 0.0m/s bis maximal 0.5m/s ist man die ersten 90 Minuten im Überlebensmodus.

Aber hey, irgendwann gegen Mittag wirds besser

...sagten all die alten Hasen immer.

Ok — am ersten Tag bin ich bei km 70 neben der Stadt Madalena im Halbgas deutlich rückwärts gelandet und war froh, dass weder mein Zeno noch ich dabei Schaden davontrugen. Eine sportliche Landung hatte sich angekündigt, da ich mal eine Weile mit Wind fliegend, 102km/h (im Trimm) und 117km/h (halb beschleunigt) auf dem Vario ablesen konnte.

Ca. 2 Minuten nach meinen harten Grounding rannten mir 5 einheimische Jungs entgegen und riefen schon meinen Namen. Sie zeigten mir dass sie mich auf dem Livetracking verfolgt hatten und deshalb meinen Namen schon wussten.
Coole Sache. Die Jungs — ihres Zeichens auch begeisterte Piloten — legten mir nicht nur meinen Schirm perfekt zusammen, sondern trugen auch noch den 24kg Packsack die 2km bis nach Madalena.

Wow, diese Begeisterung wird einem Greenhorn das eigentlich beinahe abgestürzt ist, in der Heimat nicht entgegen gebracht. Ich genoss meinen Kurzzeitigen Promistatus und bedankte mich mit einem Trinkgeld bei den Jungs für die Pack- und Sherpadienste.
Kaum an der Hauptstrasse angelangt, erwartete mich bereits Belo, mein Rückholer. Er machte mir den Vorschlag, vor der Rückfahrt etwas essen zu gehen.
Gesagt / getan, sassen wir 10 Minuten später im Lagoa Grill und gönnten uns feine Steaks mit Salat und Reis.

Nach einer 90-minütigen Rückfahrt bei wunderbarer brasilianischer Musik wurde ich im Hotel abgesetzt.
Nach einem Austausch mit meinen Fliegerkameraden stellte sich heraus, dass ich mich für den ersten Flug ganz passabel geschlagen habe.
Nur Phippu zeigte uns allen mit einem 410km Flug, dass wir noch in der Amateurliga spielten — Freude hatten wir trotzdem. Wir haben uns auch kein Kilometerziel vorgenommen. Wir nehmen was uns der Sertão gibt. Sei es 10, 50 oder wenns mal gut läuft, über 200km.

Voller Elan startet man so in den 2. Tag und steht dann nach 20km am Boden.

Ich Idiot, ich hätte doch besser…

In dem Moment ärgert es wahrscheinlich jeden Piloten. Da tut es gut zu hören, dass Leandro Padua (Rekordhalter von Quixada mit 472km) schon nach 13km am Boden stand.

Am 3. Flugtag hatten wir nur schwachen Rückenwind. So kurbelte ich mit viel Geduld, dafür wenig Höhenreserve über das Plateau von Monsenhor Tabosa bis fast nach Poranga. Dort verlor ich dann etwas die Orientierung und brach den Flug nach 7h 50min und 216km ab.

Yessss langsam werde ich warm mit der Steppe hier

Nach einem Motorradtransport aus meinem Lande(Mais)feld ins nächste Dorf, wurde ich bereits von Gregi und dem Rückholer Federico mit einem kühlen Bier empfangen.
Nach 5 Stunden Rückfahrt über staubige Sandpisten, waren wir wieder Pünktlich zum Abendessen im Hotel.
Nach einem weiteren Flug nach Madalena, folgte ein Tag, an dem der Mittelwind am Startplatz schon um 06:30 über 50km/h zeigte. Böen über 60km/h machten den Entscheid einfach, den Tag am Pool zu verbringen.

Der nächste Tag schaute aber wieder toll aus.
Sauber gestartet und gut vom Startfelsen weggekommen, flog ich die ersten 160km sehr entspannt mit Gregi zusammen. Unser Präsidiales Fliegen hat dann aber beinahe ein jähes Ende gefunden — die rettende Thermik fand uns glücklicherweise dann wieder. Bei Kilometer 210 hatten wir mit einer grossen Abschattung zu kämpfen. Gregi, der 100m tiefer war als ich, konnte sich leider auf dem Plateau hinter Poranga nicht mehr retten. Ich dagegen auf unkomfortablen 200 Meter, fand im trockenen Flussbett die nächste Rettung in Form von Aufwind. Nach 30 Minuten geduldigem drehen war ich wieder an der Basis, welche nun auf ca. 2200m war.

Ich liess mich mit dem Wind tragen und ehe ich mich versah, merkte ich, dass ich wohl der falschen Strasse folgte. Nach dem Plateau fand ich nochmal den Weg an die Basis und musste feststellen, dass ich schon 40km zu weit südlich bin.

in Windrichtung kommt nichts mehr… wenn du hier absäufst, kannst du grad eine Einheimische heiraten und anfangen Zuckerrohr anzupflanzen, da holt dich sicher niemand raus…

...war der Gedanke, der sich so in etwa in meinem Kopf festsetzte. "Heiraten... Ok, Zuckerrohr eher nein". Damit war die Motivation gross, meinen Navigationsfehler zu korrigieren.

Mit kontinuierlichem Vorhaltewinkel, konnte ich mich unter der Wolkenbasis langsam Richtung Strasse von Pedro II nach Piripiri mogeln. Supergeniale Landschaft. Einfach ein Traum. Langsam wurde auch die Vegetation grüner, was auf mehr Feuchtigkeit schliessen liess. Eben dieser Feuchtigkeit war es dann geschuldet, dass sich vor mir riesige Wolkentürme aufbauten, welche mir den direkten Weg nach Piripiri versperrten. Zuerst dachte ich noch ans drunter durch fliegen. Diesen Plan verwarf ich jedoch, als sich links von mir Regenschwälle nach unten ergossen — "also rechts vorbei". Ich versuchte rechts eine kleine Hügelgruppe zu erreichen, welche noch nicht im Schatten dieser Wolkenwand stand. Keine Chance. Also der Strasse folgen und auf ein kleines Wunder hoffen.

Die Strasse schlängelte sich unter mir durch den Busch und ab und zu gab mein Vario einen Pieps von sich, aber nichts Verwertbares. Das Wunder blieb aus.
Um 15:45 Uhr musste ich zur Landung ansetzen, ca. 10km vor Piripiri. Schade… Nein, ich bin happy über meinen Entscheid und froh, dass ich nichts riskiert habe.

Mit diesem Gedanken setzte ich auf der kaum befahrenen Teerstrasse auf, legte den Schirm ab und staunte nicht schlecht, als das nächste Auto bereits anhielt. Federico! Kaum zu glauben, da fliegt man 320km durch die Pampa Brasiliens und hat 20 Sekunden nach der Landung bereits den Rückholer bei sich. Hut ab vor dem Fly with Andy Team — das ist richtig toller Service!
So hatte ich zwar kaum Zeit, meinen bisher weitesten Flug zu verdauen, dafür sass ich schon bald in der Innenstadt von Piripiri und genoss eine kühle Limonade und einen Hot Dog.

Hinter der Stadt ist auch noch Fliegerkumpel Alex — der sympathische Wiener — nach 340 km gelandet. Wagner — ein anderer Rückholer — holte ihn ab und wir durften zu dritt unsere 7-stündige Heimreise antreten. Wie man per SMS erfuhr, war auch Fred an diesen Tag gut unterwegs und knackte die 200er Grenze. Gratulation!

Deutlich nach Mitternacht fuhren wir beim Hotel vor und waren uns einig, den nächsten Tag die Seele baumeln zu lassen und das fliegen unseren Kollegen zu überlassen.

Leider folgten danach einige Tage mit Starkwind, an welchen nur noch die ganz heissen Rekordjäger starteten. Darauf folgten einige Tage mit Nord-Ost Einfluss, welche für die meisten eher nicht die weiten Flüge brachten. Mich selbst bremsten Magenprobleme zusätzlich aus, weshalb ausser einem 100km Flug vors Plateau nicht mehr viel raus schaute.

Nach zwei nicht erholsamen aber erfolgreichen Wochen mit tausenden neuen Eindrücken, verliessen wir zufrieden — unseren mittlerweile lieb gewonnen Haufen aus Fliegerkollegen, Organisatoren und Rückholern. Da konnte auch der ungeplante 1-Tages Stop in Lissabon unsere Laune nicht trüben. ;-)
Nach zwei Wochen Quixada sehen wir beide auf eine geniale Zeit zurück.

Unsere Hauptziele haben wir vollumfänglich erreicht. Nämlich Ferien zu machen, sich nicht zu verletzen und den einen oder anderen verlängerten Abgleiter zu geniessen.

Zum Schluss würde ich sagen, dass wir mit vielen flugbegeisterten Menschen eine richtig gute Zeit erlebt haben. Es wurden viele gute Freundschaften geschlossen und diese mit Caipirinha begossen.

2 Wochen im Sertão, die uns weit mehr gebracht haben, als die unvergesslichen Flugstunden über dem Flachland Brasiliens.

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